Zwischen Lenin, Gletscherblick und Stille, die knackt
Pyramiden ist kein Ort, den man zufällig besucht. Wer diesen verlassenen Außenposten am Rande der Welt betritt, merkt schnell: Hier weht ein anderer Wind. Kein metaphorischer – ein wirklich eisiger, rauer, gnadenloser Wind, der durch die leeren Straßen pfeift und dabei Geschichte im Gepäck hat.
Was einst ein sowjetisches Vorzeigeprojekt war, wirkt heute wie ein Filmset zwischen Dystopie und Retro-Charme. Und doch: Wer einmal dort war, verlässt den Ort mit einem seltsam warmen Gefühl. Und kalten Füßen.

Pyramiden – was ist das eigentlich?
Pyramiden ist eine verlassene Bergbausiedlung rund 50 km nördlich von Longyearbyen auf Spitzbergen. Gegründet 1910 von Schweden, verkauft an die Sowjetunion in den 1920ern, verlassen Ende der 90er. Der Ort wurde gebaut, um Kohle zu fördern – und sowjetisches Leben mitten in der Arktis zu inszenieren.
Noch heute stehen Schwimmhalle, Kulturzentrum und Sportpalast wie eingefrorene Zeugen dieser Ambition. Und mittendrin: die nördlichste Lenin-Statue der Welt – grimmig, trotzig, als würde er den Permafrost bewachen.
5 Dinge, die man in Pyramiden spürt – aber nicht googeln kann
- Die absolute Stille
Kein Straßenlärm. Kein Netz. Kein Motorengeräusch. Nur der Wind. Und die eigenen Gedanken. Wer mal erleben will, wie sich völlige Geräuschlosigkeit anfühlt – hier ist der Ort. - Den Kontrast zwischen Verfall und Überleben
Gebäude mit herausgefallenen Fenstern, rostigen Heizrohren – aber dann: ein frisch renoviertes Hotel mit warmem Kaffee. Surreal? Total. - Sowjetisches Storytelling auf jedem Zentimeter
Propagandaplakate, sozialistische Architektur, ein Kulturpalast mit dicker Bühnenstaubschicht. Nichts ist hier einfach nur alt – alles erzählt Geschichte. - Die Fragilität des Lebens in der Arktis
Kein Supermarkt. Kein Krankenhaus. Kein Plan B. Wer hier wohnte, war Teil eines großen Experiments – mit Kohle und Idealismus als Lebensgrundlage. - Ehrfurcht
Klingt kitschig? Vielleicht. Aber in Pyramiden begreift man, wie nah Heldentum und Wahnsinn, Utopie und Absurdität beieinander liegen.
Von Grubenarbeitern und Eishockey
Was viele nicht wissen: Pyramiden war mehr als eine Mine. Es war eine echte Kleinstadt – mit Kindergarten, Musikschule, Schwimmbad und sogar einem Eishockeystadion. Im Winter wurde mit Schneemobilen gearbeitet, im Sommer führte ein Rudel Schlittenhunde Besucher durch die Landschaft. Hier lebten Menschen, die trotz Isolation ein erstaunlich „normales“ Leben führten.
Kinder fuhren Dreirad über den gefrorenen Asphalt. Männer rauchten auf der Dachterrasse des Kulturzentrums. Und in der Kantine wurde Borschtsch serviert, als sei Sibirien nur eine Busfahrt entfernt.
Warum wurde Pyramiden verlassen?
Die Antwort ist eine Mischung aus Wirtschaft, Tragödie und Politik. Als die Kohlevorkommen zunehmend schwerer zu fördern waren und ein tragischer Flugzeugabsturz 1996 fast 150 Menschen das Leben kostete – darunter viele Arbeiter aus Russland und der Ukraine – wurde das Projekt Pyramiden aufgegeben. 1998 verließen die letzten Bewohner die Stadt. Zurück blieb eine Geisterstadt, konserviert durch Eis und Einsamkeit.
🏨 Hotel & Übernachtung in Pyramiden: Zwischen Retro-Charme und Arktis-Abenteuer
Wer nach dem Besuch der verlassenen Straßen, dem alten Kulturhaus oder einem Spaziergang zur Lenin-Büste das Gefühl hat, noch nicht genug vom sowjetischen Arktis-Charme bekommen zu haben, der kann tatsächlich über Nacht bleiben. Ja, du hast richtig gelesen: In der Geisterstadt Pyramiden gibt es ein Hotel. Und was für eins!
Das Hotel Tulpan, benannt nach der sowjetischen Blume der Hoffnung, wurde ursprünglich Ende der 1980er Jahre aus einem alten Wohnblock heraus umgebaut – zu einer Zeit, in der sich die Sowjetunion langsam dem Westen öffnete. Heute ist es das einzige Hotel in Pyramiden und wird während der Sommermonate wieder saisonal betrieben.
Booking.comWas erwartet dich im Hotel Tulpan?
- Atemberaubende Einsamkeit – Du übernachtest inmitten einer verlassenen Stadt, umgeben von Gletschern, Fjorden und dem ewigen Eis.
- Original-Sowjet-Design – Die Ausstattung ist eine Mischung aus rustikalem Komfort und echtem Ostblock-Nostalgie-Feeling. Braune Möbel, dicke Vorhänge und ein Telefon, das aussieht wie aus einem Spionagefilm von 1984.
- Warme Mahlzeiten & Bar – Es gibt ein kleines Restaurant mit russisch angehauchter Küche (Borschtsch oder Pelmeni gefällig?) und eine Bar, in der Vodka definitiv kein Fremdwort ist.
- Zimmer mit Weitblick – Wenn du nachts aus dem Fenster schaust, siehst du keine Straßenlaternen, keine Nachbarn, kein Licht – nur das schimmernde Eis des Nordenskjöld-Gletschers. Gänsehaut garantiert.
Tipps für deine Übernachtung:
- Frühzeitig buchen: Die Anzahl der Zimmer ist begrenzt – und ja, es gibt tatsächlich Leute, die diesen Trip jedes Jahr wieder machen.
- Warm anziehen: Auch im Hotel kann es etwas frischer werden, besonders wenn der arktische Wind durchs Tal pfeift.
- Taschenlampe & Powerbank mitnehmen – für alle Fälle, denn die Infrastruktur ist, sagen wir, charmant-puristisch.
- Ohren auf: Es ist absolut still – so still, dass du deinen eigenen Atem hörst. Wer leicht nervös wird in absoluter Ruhe, sollte sich zur Nacht ein Hörbuch oder White Noise einpacken.
Fazit: Kein Ort für All-Inclusive, aber für All-Erinnerungen!
Eine Übernachtung in Pyramiden ist keine Luxusreise – aber eine der eindrücklichsten Nächte, die du vermutlich je verbringen wirst. Zwischen verlassener Kantine, sowjetischen Relikten und frostigem Sternenhimmel wird die Arktis plötzlich sehr, sehr lebendig. Vielleicht ist es sogar genau diese Mischung aus Melancholie und Majestät, die einen Aufenthalt hier unvergesslich macht.
Tipps für deinen Besuch (egal ob Tagestour oder Übernachtung)
Tipp | Warum |
---|---|
Nimm warme Kleidung mit | Auch im Sommer pfeift hier der Wind wie aus dem Gefrierschrank. |
Hab deine Kamera bereit | Dieser Ort ist wie gemacht für schräge Fotomotive – Lenin im Polarlicht inklusive. |
Geh achtsam durch die Stadt | Es ist verlockend, in verlassene Häuser zu schleichen. Aber bleib auf den markierten Wegen – die Bausubstanz ist alt. |
Respektiere die Stille | Pyramiden ist kein Abenteuerspielplatz. Es ist Geschichte. Und das spürt man. |
Stell dich auf wenig Komfort ein | Selbst mit Hotelbetrieb bleibt das Gefühl, ganz weit weg von allem zu sein. Genau das ist der Reiz. |
Bring Snacks mit | Es gibt ein kleines Café – aber kulinarische Vielfalt ist hier nicht das Ziel. |
Lies vorher ein bisschen über sowjetische Architektur | So erkennst du die Anspielungen und Konzepte besser vor Ort. |
Plane keine Spontantour | Eine geführte Tour ist Pflicht – wegen Eisbären und Sicherheitszonen. |
Sprich mit den Guides | Viele stammen aus Russland oder der Ukraine und haben persönliche Bezüge zur Geschichte. |
Buch rechtzeitig | Die Touren im Sommer sind beliebt – und der Platz auf dem Schiff begrenzt. |
Das Gefühl nach dem Besuch
Man kommt zurück nach Longyearbyen – voller Fragen. Warum wurde dieser Ort so weit im Norden gebaut? Was treibt Menschen an, unter solchen Bedingungen zu leben – oder wieder zurückzukehren? Warum wirkt eine sowjetische Geisterstadt menschlicher als so manche sterile Großstadt?
Und vielleicht stellt man auch fest: Der Besuch von Pyramiden ist weniger eine Reise zu einem Ort – sondern mehr eine Reise zu einer Geschichte, die noch immer in den leeren Fluren flüstert.
Fazit: Pyramiden – zwischen Lost Place und Zeitmaschine
Wer in Pyramiden nur eine marode Bergbaustadt sieht, verpasst den Kern. Es geht nicht nur um Ruinen – sondern um Identität, Ambitionen und die Frage, wie weit Menschen für Visionen gehen. Und auch wenn vieles verfallen ist: Der Geist der Stadt lebt.
Pyramiden ist einzigartig. Und bleibt es. Wer sie gesehen hat, wird sie nie vergessen.
FAQ: Noch Fragen zu Pyramiden?
Kann man Pyramiden alleine besuchen?
Nein. Wegen der Eisbärengefahr darfst du dich dort nur mit einem Guide aufhalten. Touren starten in Longyearbyen.
Gibt es dort Übernachtungsmöglichkeiten?
Ja. Das Hotel Tulipan ist rustikal, aber charmant. Es wurde wiedereröffnet und bietet Schlafplätze in sowjetischem Stil.
Wie fühlt sich ein Besuch an?
Wie eine Mischung aus Geschichtsunterricht, Endzeitfilm und Outdoor-Abenteuer. Plus: seltsame Nostalgie.
Wie kommt man hin?
Im Sommer mit dem Schiff, im Winter mit dem Schneemobil. Je nach Wetterlage variieren die Optionen.
Gibt es dort WLAN oder Empfang?
Nicht wirklich. Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Digital Detox inklusive.
Was sollte ich mitnehmen?
Warme Kleidung, Snacks, Kamera, Geduld. Und eine gewisse Offenheit für Orte, die keine Postkarte sein wollen, sondern eine Geschichte erzählen.
Welche Sprache wird dort gesprochen?
Meist Russisch oder Englisch. Einige Guides sprechen auch Norwegisch oder Deutsch – je nach Tourveranstalter.
Was kostet eine Tour nach Pyramiden?
Rund 200–250 Euro pro Person, je nach Anbieter und Dauer. Mehrtagestouren sind teurer – lohnen sich aber, wenn du tiefer eintauchen willst.
Lohnt sich der Abstecher wirklich?
Ja. Wenn du dich für Geschichte, Extreme und Orte abseits des Üblichen interessierst – dann unbedingt!